- Gliederung
- Einleitung
- Standesrecht und Zivilrecht
- Arbeitnehmer
- Freie Mitarbeit
- Der fixierte Sozius und die unechte Sozietät
- Gemeinsame Probleme
B. Zum Verhältnis der anwaltlichen Standesauffassungen und des Standesrechts zum Zivilrecht
Die Gemengelage zwischen Zivil-, Arbeits- und Standesrecht, die Beschäftigungsverhältnisse unter Rechtsanwälten kennzeichnet, wirft die Frage der Relevanz der Regelungen, die sich aus diesen unterschiedlichen Rechtsgebieten ergeben, bei der Beantwortung von Einzelfragen auf.
I. Quellen anwaltlichen Standesrechts
Bevor diese Frage beantwortet werden kann, sind zunächst die Quellen anwaltlichen Standesrechts aufzuzeigen. Hierzu bietet vor allem die jüngste Rechtsentwicklung - wie noch aufgezeigt werden soll - Anlass.
1. Der Begriff des Standesrechts
Schon der Begriff des Standesrechts ist schillernd und wird mit unterschiedlichen Inhalten verwendet (1). Es handelt sich um einen tradierten, aus dem allgemeinen Sprachgebrauch hervorgegangenen Sammelbegriff (2).
In einem umfassenden Sinn wird darunter die Gesamtheit jener besonderen Normen verstanden, die den Beruf des Rechtanwalts betreffen (3).
Enger ist die Umschreibung, die als Standesrecht jene Vorschriften ansieht, die für Rechtsanwälte als Ausdruck eines besonderen, durch den Berufsstand geprägten Berufsethos gelten (4). Anwaltliches Standesrecht ist demgemäß die Summe der beruflichen Rechte und Pflichten des Anwalts (5) oder die Summe der materiellen beruflichen Verhaltensregeln für den Rechtsanwalt (6)).
Schließlich werden als Standesrecht die unter Sanktion gestellten, besonderen ethischen Anforderungen an die Berufs- und Lebensführung der Standesgenossen angesehen (7). Diese werden auch als "materielles" Anwaltsrecht bezeichnet (8).
Da es dem Wesen des Rechts eigen ist, dass eine Verletzung der Rechtsnormen Sanktionen zumindest auslösen kann, darf man die beiden letzten Umschreibungen als im wesentlichen deckungsgleich betrachten, soweit es um die Pflichten geht, es sei denn, man beschränke den Begriff der Sanktionen auf solche,die im berufsgerichtlichen Verfahren zu verhängen sind (9). Hierzu besteht aber wohl kein Anlass. Allerdings bezieht die vorletzte Definition auch die beruflichen Rechte des Anwalts in die Umschreibung des Standesrechts ein.
Schließlich existiert noch die Ansicht, von Standesrecht sei nur zu reden, soweit es um die Stellung und das Verhalten des Rechtsanwalts gegenüber anderen Rechtsanwälten und seiner Rechtsanwaltskammer gehe (10).
Die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) verwendet den Begriff des Standesrechts nicht (11). Er ist jedoch in der Überschrift der "Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts - Richtlinien gem. § 177 II 2 BRAO" (Rili) enthalten und wird in deren Vorspruch mehrfach verwendet. Hierzu wird jedoch behauptet, es handele sich hierbei um einen Fehlgebrauch des Begriffes, da die "Grundsätze"nicht Standesrecht enthielten, sondern die Standessitte beschrieben (12). Wegen dieser Zweifel können die Richtlinien keine allgemeingültige Definition des Standesrechts bieten. Im Interesse begrifflicher Klarheit ist daher eine eigenständige Definition zu versuchen.
Wenn man mit dem Begriff des Standesrechtes ein Rechtsgebiet abgrenzen will, das eine Geschlossenheit und eine einheitliche, gegenüber anderen Rechtsgebieten besondere Funktion aufweist, so ist es zu weitgehend, alle jene Normen unter diesen Begriff zu fassen, die in irgendeiner Weise den Beruf des Rechtsanwalts betreffen, selbst wenn dies in ausschließlicher Weise geschieht.
Ansonsten enthält man ein Konglumerat von Normen, aber keinen systematisch abgegrenzten, inhaltlich verbundenen Rechtsbereich.
Im folgenden soll daher der Begriff des Standesrechts im engeren Sinne verstanden werden.
Mit ihm wird der Komplex jener Normen bezeichnet, die besondere Anforderungen an die Berufs- und Lebensführung der Anwälte stellen.
Diese Normen betreffen nicht nur das Verhalten des Anwalts gegenüber seinen Kollegen und seiner Kammer, sondern auch gegenüber Gerichten und Behörden, Rechtsuchenden, seinen Mitarbeitern und schließlich der Öffentlichkeit. Man kann diesen Normenkomplex auch "berufsspezifisches Berufsrecht" nennen (13), der Begriff "Standesrecht" hat sich aber hierfür eingebürgert, mag es sich hierbei auch um einen "unscharfen" Sprachgebrauch (13) handeln (14). Dabei werden bewusst nur solche Normen erfasst, die Pflichten des Anwalts statuieren, während seine besonderen Rechte außer Betracht bleiben. Der Zusammenhang zwischen Rechten und Pflichten soll aber nicht geleugnet werden. Vielmehr beschreibt das Standesrecht - in dem hier zugrunde gelegten Sinne - jenen Pflichtenkreis, der auch Folge dessen ist, dass der Rechtsanwalt innerhalb der Rechtspflege zum Zwecke seiner Berufsausübung besondere Rechte genießt (15).
Das Standesrecht ist auch die Basis jenes notwendigen Vertrauensvorschusses, den der Rechtsanwalt sowohl seitens der Angehörigen der anderen Rechtspflegeorgane und durch seine Kollegen als auch durch seine Mandantschaft, das rechtsuchende Publikum, erhält (16) und den er zum effektiven Arbeiten auch benötigt. Insoweit erfüllt das anwaltliche Standesrecht disziplinäre Aufgaben (17). Das Standesrecht ist somit Teil des öffentlich-rechtlichen Berufsrechts der Anwaltschaft (18).
Differenziert werden muss auch zwischen dem Standesrecht der Rechtsanwälte und ihrer Standesauffassung. Beide Begriffe werden zwar oftmals synonym verwandt. Dadurch wird aber die Diskussion über die Quellen und den Geltungsgrundlagen standesrechtlicher Regelungen eher erschwert (19).
Im folgenden soll der Begriff "Standesauffassung" die Ansichten der Rechtsanwälte darüber beschreiben, welche Anforderungen an ihre Berufs- und Lebensführung zu stellen sind. Erwähnt wird die "allgemeine Auffassung über die Fragen der Ausübung des Anwaltsberufs" in § 177 II Nr. 2 BRAO.
2. Gesetzliche Quellen des Standesrechts
Die BRAO enthält lediglich die grundlegenden Vorschriften des Standesrechts (20).
Materielles Standesrecht enthalten insbesondere die §§ 43-56, 59 I BRAO. In den §§ 57 f., 92-161 a BRAO sind Verfahrensvorschriften für die Verhängung standesrechtlicher Sanktionen geregelt. Hinzukommen besondere Vorschriften anderer Gesetze, die bestimmte Einzeltatbestände zum Gegenstand haben, z.B.: § 203 StGB (Berufsgeheimnis), § 352 StGB (Verbot der Gebührenüberhebung), § 356 StGB (Parteiverrat), §§ 138 a f. StPO (Verteidigerausschluss) und § 146 StPO (Verbot der gemeinschaftlichen Verteidigung). (21)