- Gliederung
- Einleitung
- Standesrecht und Zivilrecht
- Arbeitnehmer
- Freie Mitarbeit
- Der fixierte Sozius und die unechte Sozietät
- Gemeinsame Probleme
A. Einleitung
I. Einführung in das Thema der Arbeit
1. Zu den beruflichen Perspektiven der Rechtsanwälte
Gegenwärtig werden die Perspektiven deutscher Rechtsanwälte (X) vom Phänomen der Anwaltschwemme bestimmt. Von den zahlreich veröffentlichten statistischen Angaben und Bewertungen derselben sollen im folgenden nur einige Zahlen und Aussagen dargeboten werden, um die faktische Relevanz des Themas zu erläutern.
Man rechnete zunächst damit, dass bis zu Beginn der neunziger Jahre dieses Jahrhunderts jährlich etwa 10.000 neue Assessoren auf den Stellenmarkt drängen würden, von denen ungefähr vier Fünftel Rechtsanwälte werden müssten (1). . Neuere Annahmen gehen davon aus, dass jährlich noch für einige Zeit 6000 bis 7000 Volljuristen hinzukommen werden; in ferner Zukunft soll dieser Wert auf 4000 bis 3000 Juraabsolventen absinken (2) .
Jedenfalls erreichte die Zahl der Studienanfänger im Fach Rechtswissenschaft in den Jahren 1979 bis 1984 Rekordhöhen (3) .Nach einer durchschnittlichen Ausbildungszeit von fast zehn Jahren wird schätzungsweise die Hälfte von ihnen ins Erwerbsleben eintreten, die Mehrzahl eine anwaltliche Tätigkeit aufnehmen (4) .
Von 1970 bis 1984 hat sich die Zahl der Rechtsanwälte bundesweit auf ungefähr 47000 verdoppelt (5) .Am 1.1.1988 waren 51952 Rechtsanwälte im Bundesgebiet zugelassen (6) .Die jährliche prozentuale Zunahme betrug vom 1.1.1985 bis zum 1.1.1986 3,6 %, in einzelnen Kammerbezirken bis zu 8 % (bei der Rechtsanwaltkammer beim Bundesgerichtshof sogar 19 %) (7) .vom 1.1.1986 bis zum 1.1.1987 3,3 % (8) und 1.1.1987 bis zum 1.1.1988 3,4 % (6) .Dabei hatte die Anwaltschaftin den Jahren 1980 bis 1986 mit 39,3 % die höchste Zuwachsrate der rechts- und steuerberatenden Berufezu verzeichnen (9) .Kein anderer Berufsstand hat eine derartige Entwicklung zu verkraften (10) .
Bis zur Mitte der 90er Jahre wurde zunächst eine nochmalige Verdopplung erwartet (11) .Man rechnete mit etwa 90000 bis 100000 Rechtsanwälten (12) .Neuere Annahmen gehen davon aus, dass der Anwaltsbestand in den 90iger Jahren über 70000 hinauswachsen und der 80000-Marke zustreben wird (13) .Es ist offenkundig, dass eine derartige Zunahme bei den Anwaltszulassungen nicht mit einem entsprechenden Mehrbedarf an anwaltlichen Dienstleistungen erklärt werden kann, sondern ihre Ursache darin hat, dass die Anwaltschaft der einzige offene juristische Arbeitsmarkt ist (14) .
Die Beschäftigungsquote von Juristen in der Wirtschaft und Verwaltung ist in den letzten Jahren konstant geblieben und hat im Bereich der Justiz nur gering zugenommen (15) .In der Privatwirtschaft, den Verbänden und Kammern und im öffentlichen Dienst wird derzeit eine sehr zurückhaltende Einstellungspolitik betrieben und der Ersatzbedarf kann fast nur noch in Promille ausgedrückt werden (16) .
War das Verhältnis der Neuzulassungen in der Anwaltschaft einerseits und der Absolventen der zweiten juristischen Staatsprüfung andererseits im Jahre 1970 noch 1:4, so bewegte es sich in den Jahren 1982 bis 1984 jeweils bei ca. 1:2 (17) .Das der Fachvermittlung der Bundesanstalt für Arbeit im Jahre 1987 gemeldete Stellenangebot aus Justiz und öffentlicher Verwaltung beschränkte sich weitestgehend auf den Ersatzbedarf (18) .
Die Zahl der arbeitslosen Juristen hat von Ende September 1973 bis Ende September 1986 von 450 auf 3277 zugenommen (19) .Ende Juni 1987 standen 182 offenen Stellen 4803 Bewerber gegenüber (19) .Im gesamten Jahr 1987 wurden 175 Rechtsvertreter und -berater über die Bundesanstalt für Arbeit gesucht (das sind 12,1 % weniger als im Vorjahr), während dort 5128 Bewerber für eine derartige Stelle gemeldet waren
(17,9 % mehr als im Vorjahr); 994 Arbeitsvermittlungen konnten in diesem Bereich erfolgen (8 % weniger als im Vorjahr) (20) .Viele Juraabsolventen, deren Wunsch, in den öffentlichen Dienst oder zur Justiz zu gehen, nicht erfüllbar ist, lassen sich zur Rechtsanwaltschaft zu (21) .
Diese Entwicklung führt zum einen dazu, dass die Anwaltschaft immer jünger wird (22) ,was Einfluß auf ihr Selbstverständnis haben muss (23) .Andererseits führt dieser "Nachwuchsdruck" (24) .dazu, dass die wirtschaftliche Situation der Anwaltschaft in ihrer Gesamtheit schwierig ist (25) .
Die Anwaltsdichte betrug um die Jahrhundertwende 1,5 Anwälte je 10000 Einwohner; im Jahre 1951 betrug sie 2,8, im Jahre 1960 3,3, im Jahre 1975 4,3 und derzeit 8,5 (26) .
In ferner Zukunft wird sie 13-15 Anwälte je 10000 Einwohner betragen (27) .Am 1.1.1985 kam in Hamburg bereits 1 Anwalt auf 479 Einwohner (28) .In Bremen (wo am 1.1.1985 1 Anwalt auf 803 Einwohner kam (28) )sollen schon 15 % der Rechtsanwälte Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe beziehen (29) .Es wird angenommen, dass derzeit kaum mehr als 30000 Anwälte ein zufriedenstellendes Auskommen haben (30) .
Das anwaltliche Einkommen stagniert, die Kosten steigen (31) .So wird beispielsweise die Zivilprozessführung für den Anwalt zunehmend unrentabler, insbesondere durch den wachsenden Büroaufwand (32) .
Eine Gefährdung der wirtschaftlichen Seite der Berufsausübung des Rechtsanwalts wird befürchtet mit der Folge, dass die Freiheit der Advokatur zur leeren Formel werde, wenn der Beruf nicht mehr seinen Mann (seine Frau) ernähre (33) .Die Berufs- und Einkommensaussichten von Berufsanfängern, die sich sogleich nach ihrem Examen als freie Rechtsanwälte niederlassen, werden als denkbar schlecht bezeichnet und sollen sich auch mittelfristig kaum ändern (34) .Vor "Horden unruhiger Anwälte" wird bereits gewarnt (35) .und die Bewältigung "der Flut" von Nachwuchsjuristen, die in den Anwaltsberuf strömen, als das zur Zeit dringenste Problem für den Bestand einer leistungsfähigen freien Advokatur bezeichnet (36) .Es gibt allerdings auch optimitischere Stimmen (37) .Mit der rapiden Zunahme der Anwaltszulassungen verstärkt sich aber die Sorge, dass es vielen jungen Anwälten zunehmend schwerfallen wird, mit ihrer Tätigkeit auch nur das Existenzminimum zu sichern (38) .
Das Investitionsvolumen eines Einzelanwaltes bei der Praxisgründung liegt zwar in der Regel unter 50000 DM, immerhin gaben aber 21 % der in der Hommerich-Studie befragten Praxisgründer an, zwischen 50000 und 100000 DM aufgewendet zu haben und weitere 14 % erklärten, dass ihr Investitionsvolumen bei mehr als 100000 DM gelegen habe (39) .Bis zur ersten Konsolidierung ihres Büros haben junge Anwälte einen schwierigen Durchsetzungsprozess zu bestehen (40) .Zumindest in den ersten drei Jahren nach der Gründung ihres Büros haben sie nur mäßige Chancen, Einkommen in einer Größenordnung des Einstiegseinkommens für Juristen im öffentlichen Dienst zu erreichen (40) .Im allgemeinen wird angegeben, dass junge Anwälte eine Durststrecke von etwa drei bis fünf Jahren zu überwinden haben (41) .Beispielsweise waren ein Drittel der Anwälte, die im Jahre 1980 im Bereich der Rechtsanwaltskammer Hamm ihre eigene Praxis eröffnet haben, noch fünf Jahre nicht imstande, mit den Einnahmen aus der Praxis den Lebensunterhalt zu bestreiten (42) .Nur etwa 25 % der in der Zeit vom 1.1.1980 bis 30.6.1984 dort neu zugelassenen Rechtsanwälte konnten ein Einkommen erzielen, dass einen ausreichenden Lebensstandard ermöglicht (43) .Bezeichnend ist auch, dass durchschnittlich 15,3 % der 1981 in vier repräsentativen RAK-Bezirken zugelassenen Anwälte bis 1986 auf die Zulassung verzichtet haben (44) .
Neben problematischen Versuchen sich das Existenzminimum durch Nebentätigkeiten im universitären und quasiuniversitären Bereich zu sichern (45) .werden auch zeitweilige oder auerhafte Beschäftigungsverhältnisse mit Anwälten für diesen Personenkreis eine zunehmende Bedeutung erlangen (46) .
Von den zwischen 1980 und 1985 neu zugelassenen Rechtsanwälten haben 14 % eine Tätigkeit als Angestellter in einer Einzelpraxis oder Sozietät und 13 % als freier Mitarbeiter gefunden (47) .
Allerdings wird auch beobachtet, dass es heute zunehmend Berufsanfänger gibt, die sich zu "Ausbeutungsbedingungen" bei etablierten Anwälten anstellen lassen (48) .Immerhin 31 % der Rechtsanwältinnen und 17 % der Rechtsanwälte sollen angegeben haben, nach ihrem Examen wegen ihrer Bereitschaft zur Übernahme einer unterbezahlten Stelle eingestellt worden zu sein (49) .
Hinzu kommt noch ein weiteres.
Weil die Anwälte heute einen sehr schweren Existenzkampf ausfechten müssen, ergibt sich die dringende Notwendigkeit zur Verbesserung der Konkurrenz- und Leistungssituation, d.h. zur permanenten Übernahme wirtschaftlicher Arbeitsprinzipien sowohl formal als auch inhaltlich. Als ein unumgänglicher Weg dazu wird der Zusammenschluss in (großen) Sozietäten bezeichnet, die den besten organisatorischen Rahmen für Arbeitsteilung und Spezialisierung (vor allem auf wirtschaftsrechtliche Gebiete) und damit berufliche Erfolge bieten sollen (50) .Bereits zwischen 1967 und 1972 nahm die Zahl der Mittel- bis Großsozietäten (ab 4 Anwälte) überdurchschnittlich zu (51) .Auch heute scheint der Trend n die Sozietäten und dort in die größeren Sozietäten, und das Ziel einer weiteren Spezialisierung unübersehbar zu sein (52) .
Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob es zu einer Konzentration kommt, die viele Rechtsanwälte aus wirtschaftlicher Selbständigkeit in den Angestelltenstatus von Großbüros hineinzwingt (53) .
2. Intentionen dieser Arbeit
Diese erhöhte Bedeutung der Beschäftigungsverhältnisse unter Rechtsanwälten lässt es nützlich erscheinen, die Problembereiche einer solchen Zusammenarbeit darzustellen und Lösungen für die vorgefundenen Probleme zu erörtern.
Beschäftigungsverhältnisse unter Rechtsanwälten werfen nicht nur zivil- und arbeitsrechtliche sondern auch standesrechtliche Probleme auf. Dies führt zu einer eigenartigen Gemengelage von Zivil-, bzw. Arbeits- und Standesrecht. Daneben strahlt dieses Verhältnis auch in andere Rechtsbereiche hinein und führt dort zu spezifischen Problemen.
Bei der Beurteilung von Einzelfragen müssen neben den Interessen der Parteien des Beschäftigungsverhältnisses auch die der Allgemeinheit und insbesondere der Mandanten berücksichtigt werden. Ohne Einbeziehung der Anforderungen und Erwartungen, die das rechtssuchende Publikum berechtigterweise an die beteiligten Rechtsanwälte stellt und die sich auch im sogenannten Standesrecht niedergeschlagen haben, wird man die anstehenden Probleme kaum sachgerecht lösen können.
Eine zusammenschauende Betrachtung der komplexen Problematik fehlt bisher, da in der Literatur - sowohl zum anwaltlichen Standes- wie auch zum Arbeitsrecht - die Beschäftigungsverhältnisse unter Rechtsanwälten eher peripher behandelt worden sind. über der Anwaltschaft in Deutschland soll allerdings auch eine eigentümliche wissenschaftliche Nacht - zumindest bis vor kurzem - gelegen haben, die nur von tagespolitisch orientierten Diskussionen von Zeit zu Zeit eine gewisse Aufhellung erfährt (54) .
Erwähnt werden muss der Aufsatz von Knief (55) , der der Praxis nähere Einblicke in die genannten Problembereiche gab. Er behandelt jedoch schwerpunktmäßig standesrechtliche Fragen und lässt daher eine vertiefende Betrachtung nicht als entbehrlich erscheinen. Ein kurzer Aufsatz von Rewolle (56) . hat sich mit dem Rechtsanwalt als freien Mitarbeiter befasst. Ausführlicher mit den standes-, zivil- und arbeitsrechtlichen Fragen in Hinblick auf Beschäftigungsverhältnisse unter Rechtsanwälten befasst sich die Kommentierung von Eich zu § 81 Rili (57) , die jedoch, obwohl 1988 erschienen, teilweise bereits überholt ist.
Der Rahmen dieser Arbeit erlaubt es nicht, das gesamte Arbeits- oder Dienstvertragsrecht darzustellen, das die Beschäftigungsverhältnisse unter Rechtsanwälten regelt.
Schwerpunktmäßig sollen deshalb jene zivil- und arbeitsrechtlichen Fragen behandelt werden, bei deren Lösung der Umstand, dass der Beschäftigte Rechtsanwalt ist und damit an der Rechtspflege teilhat, eine besondere Rolle spielt.
Das Standesrecht befindet sich im Umbruch.
Nicht nur die beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, auf die eingegangen werden soll, sondern auch die Notwendigkeit der Anpassung an ein verändertes und sich weiter veränderndes gesellschaftliches Umfeld und den daraus resultierenden Bedürfnisse des rechtsuchenden Publikums und nicht zuletzt das zahlenmäßige Wachstum des Berufstandes erforden hier eine Neuorientierung. Selbst gesetzliche Regelungen sind aus diesen Gründen umstritten. "Anpassung an die Bedürfnisse der modernen Dienstleistungsgesellschaft" und "Anpassung an das europäische Gemeinschaftsrecht und die internationale Entwicklung" sind einige der Schlagworte, unter denen heute die zukünftige Entwicklung des anwaltlichen Berufsrechts diskutiert wird.
Noch nie soll soviel über Anwaltsrecht und Anwaltspolitik geschrieben worden sein wie in den letzten Monaten (58) .
Dass daher möglicherweise in wenigen Jahren ein Teil der folgenden Ausführungen überholt sein wird, muss der Verfasser sehenden Auges in Kauf nehmen.
II. Überblick über den Gang der Darstellung
Beschäftigungsverhältnisse unter Anwälten kommen in der Praxis in vielen Formen vor. Vereinbart wird eine Mitarbeit als Angestellter oder als "freier Mitarbeiter". Teilweise wird der Mitarbeiter im Briefkopf und auf dem Kanzleischild aufgeführt.
Es kommt auch vor, dass der Mitarbeiter als Sozius bezeichnet wird, aber (zunächst) ein Fixum erhält.
Ausgangspunkt der Betrachtungen soll das Angestelltenverhältnis sein (C.), dann wird die sogenannte "freie" Mitarbeit näher betrachtet werden (D.). Während der Status sogenannter "freier" Mitarbeiter im künstlerischen Bereich, insbesondere als Vertragspartner von Rundfunkanstalten, häufiger Gegenstand in Literatur und Rechtsprechung war (59) , ist dem "freien" Mitarbeiter der Rechtsanwalts eine vergleichbare Aufmerksamkeit (noch) nicht zuteil geworden.
Gegenstände der Untersuchung sind ferner der "fixierte" Sozius und die Verhältnisse bei der "unechten" Sozietät (E.). Schließlich sollen noch einige allgemeine Probleme erörtert werden (F.), wobei auch strafprozessuale, öffentlich- und strafrechtliche Fragen in die Betrachtung einbezogen werden. Zunächst ist jedoch eine Untersuchung des Verhältnisses anwaltlichen Standesrechts und anwaltlicher Standesauffassung zum Zivil- und Arbeitsrecht vorzunehmen (B.), um die Bedeutung der sich daraus ergebenden Verhaltenserwartungen zu klären.
In dieser Arbeit werden viele Probleme angesprochen. Einige haben es sicherlich verdient, tiefgründiger dargestellt zu werden, als dies hier möglich ist. Darauf wurde zugunsten einer umfassenden Darstellung verzichtet.
Es bleibt aber zu hoffen, dass in einigen Fragen eine Diskussion angeregt werden kann, die dann zur wünschenswerten Argumentationsbreite und Erkenntnistiefe führt.