- Gliederung
- Einleitung
- Standesrecht und Zivilrecht
- Arbeitnehmer
- Freie Mitarbeit
- Der fixierte Sozius und die unechte Sozietät
- Gemeinsame Probleme
3. Außergesetzliche Quellen des Standesrechts
Wird man unbefangen mit dem Begriff des anwaltlichen Standesrechts konfrontiert, so dachte man bislang zunächst zum einen an die BRAO, zu anderen aber vor allem auch an die Richtlinien.
a) Genese der Richtlinien
Der Bundesrechtsanwaltskammer obliegt es nach § 177 II Nr. 2 BRAO, die allgemeine Auffassung über Fragen der Ausübung des Anwaltsberufs in Richtlinien festzustellen.
In Erfüllung des gesetzlichen Auftrages hat die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) die "Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts" (Rili) (Festgestellt von der Bundesrechtsanwaltskammer am 21. Juni 1973 - jetziger Stand: 1. Februar 1987) erarbeitet. Nach regelmäßig langjährigen Vorarbeiten (22) verabschiedet die BRAK die Richtlinien durch Beschluss ihrer Hauptversammlung (§§ 187-190 BRAO). Dieser erfolgt durch Abstimmung unter den Präsidenten der 23 Rechtsanwaltskammern (§§ 188 I, 190 I BRAO); dabei hat jede Stimme gleiches Gewicht; es kommt also weder auf die Flächengröße der Kammerbezirke noch auf die sehr unterschiedliche Mitgliederzahl der einzelnen Kammern an (23). Die BRAO selbst enthält keine Bestimmung darüber, auf welchem Weg diese allgemeine Auffassung zu ermitteln ist (24).
Art. VII Abs. 4 der Satzung der BRAK (25) bestimmt hierzu, dass Beschlüsse der Hauptversammlung, die auf die Feststellung von Standesrecht gerichtet sind, einer 3/4 - Mehrheit bedürfen. Es genügt aber die einfache Mehrheit bei der Beschlussfassung über den Antrag, eine standesrechtliche Frage erneut zu erörtern. Dann bedarf die Feststellung der Fortgeltung einer früher getroffenen Feststellung von Standesrecht erneut einer 3/4 - Mehrheit, andernfalls gilt die Richtlinie als überholt.
Außerhalb der Hauptversammlung beschäftigt sich ein gemä Art. VIII der Satzung (26) gebildeter ständiger Ausschuß (Richtlinien-Ausschuss) mit den Standesgrundsätzen (27).
Diese Genese der Rili vermag zwar einiges zur Bedeutung der Rili innerhalb der Anwaltschaft erhellen, nicht aber deren Rechtsnatur zweifelsfrei offenbaren.
b) Rechtsnatur der Richtlinien
Die richtige Erfassung des Wesens der Rili und ihre Einordnung in das allgemeine Rechtssystem ist auch von Kennern des anwaltlichen Standesrechts als schwierig bezeichnet worden (28).
Bislang waren lediglich einige rechtstheoretische und -dogmatische Fragen nur wenig geklärt, in Hinblick auf die praktische Bedeutung der Rili hatte sich aber - ungeachtet einiger kritischer Gegenstimmen (29) - eine feste Anschauung gebildet. Diese ist nunmehr durch zwei jüngst ergangene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (30) grundlegend erschüttert worden.
Dennoch soll zunächst die bisherige Auffassung in ihren Grundzügen (31) dargestellt werden, denn sie bildet den Hintergrund für die noch zu erörternden (32) Entscheidungen, die sich mit dem Verhältnis von Standesrecht bzw. Standesauffassung und Zivilrecht befassen.
Negativ kann von den Rili gesagt werden, dass sie weder normativen Charakter haben (33), noch als Gewohnheitsrecht einzustufen sind (34). Sie sind auch kein autonomes Satzungsrecht, weil die BRAO keine Ermächtigungsgrundlage zur Normierung anwaltlicher Berufspflichten enthält (35). Rechtsgestaltend wirkende Richtlinienbeschlüsse, die neues Standesrecht schaffen sollen, sind daher gesetzwidrig, da derartige "Feststellungen" von § 177 II Nr. 2 BRAO nicht gedeckt werden (36). Nach § 177 II Nr. 2 BRAO kann daher nur das festgestellt werden, was an allgemeiner Auffassung über Fragen der Ausübung des Anwaltsberufs in der Anwaltschaft tatsächlich vorhanden ist (37).
aa) Bisherige Auffassung
Positiv wurden die Rili bislang als eine Sammlung von Erfahrungssätzen beschrieben, die als wesentliche Erkenntnisquelle dafür dienen können, was im Einzelfall nach der Auffassung angesehener und erfahrener Standesgenossen der Meinung aller anständig und gerecht denkenden Anwälte und der Würde des Standes entspricht (38). Sie sollten - in allerdings nicht erschöpfender Weise - im einzelnen die zur Zeit geltende Standesauffassung wiedergeben, die auch in der Rechtsprechung der Ehrengerichte ihren Ausdruck gefunden hat (Abs. 3 Vorspruch Rili).
Die praktische Bedeutung der Rili ergab sich bisher aus einer gesetzesergänzenden Funktion.
Die grundlegende Rechtsnorm für das Standesrecht ist § 43 BRAO. Dieser umschreibt generalklauselhaft die Standespflichten des Rechtsanwalts, soweit diese nicht in speziellen Normen festgehalten sind (39) und ist mit den Vorschriften der §§ 113 ff. BRAO die Grundlage für die ehrengerichtliche Ahndung schuldhafter Plichtverletzungen (40).
Die Ehrengerichte standen vor der Schwierigkeit, dass der Gesetzgeber die anwaltlichen Berufspflichten im wesentlichen lediglich durch diese Generalklausel umschrieben hatte und dass diese grundsätzlich als eine formell ausreichende Rechtsgrundlage für Eingriffe in die Berufsausübung beurteilt wurde (41). Es lag daher nahe, dass sie sich bei der ihnen obliegenden Auslegung und Anwendung der Generalklausel an den Standesrichtlinien orientierten (42). Die Standesrichtlinien konnten und sollten dazu dienen, diese Generalklausel über die Berufspflichten des Rechtsanwalts anzuwenden, indem sie zu ihrer Konkretisierung im Wege der Auslegung dienten (43). Sie wurden als gesetzlich initiierte Sammlung von Erfahrungssätzen bezeichnet, denen eine starke Indizkraft in Ansehung der vom Gesetzgeber namentlich in der Generalklausel des § 43 BRAO bezüglich der anwaltlichen Berufspflichten als maßgeblich deklarierten Standesauffassungen zukomme (44).
Die Rili hatten also in Ansehung der Blankettvorschrift des § 43 BRAO einen normergänzenden Charakter, so dass ihnen nicht nur eine faktische Bedeutung zukam, sondern auch eine rechtliche Bedeutung zugesprochen wurde (45). Die Rili bestimmten in dieser Funktion in erheblichem Maße die anwaltliche Berufsausübung (46). Ihre große praktische Bedeutung resultierte somit daraus, dass die Blankettnorm des § 43 BRAO sie auf dem beschriebenen Weg mit weitreichenden Wirkungen ausstattete, die bis zur Möglichkeit des Ausschlusses aus dem Berufsstand reichten (s. §§ 113 ff. BRAO) (47). Durch die Norm des § 177 II Nr. 2 BRAO sollte wohl auch der Wert und die Notwendigkeit einer derartigen Auslegungshilfe anerkannt werden. Diese Vorschrift sollte es nämlich der Bundesrechtsanwaltskammer ermöglichen, neben der Ehrengerichtsbarkeit "für die Ausbildung eines einheitlichen Standesrechts einen besonders bedeutsamen Beitrag leisten zu können" (48).
Aus dieser Aufgabenzuweisung wurde dann der Schluss gezogen, kraft gesetzlicher Übertragung stelle die Bundesrechtsanwaltskammer für die Mitglieder ihrer Mitgliedskammern verbindliches Standesrecht fest (49). Die Rili oder die ihnen zugrundeliegende allgemeine Standesauffassung wurde als verbindliches Standesrecht angesehen (50). Die Rili wurden auch als "Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts" überschrieben (51), und der Begriff "Standesrecht" taucht in ihnen mehrfach auf (52). Demgemäß neigten die Ehrengerichte dazu, die Rili ohne anderweitige Pflichtenbegründung, d.h. wie Rechtsnormen, anzuwenden (53). Dass die Rili in der Spruchpraxis der Kammervorstände und Ehrengerichte immer wieder wie Rechtssätze behandelt wurden, geschah möglicherweise auch deshalb, weil sie normähnlich als Gebote und Verbote formuliert sind (54).
Sue, die die rechtsstaatlichen Probleme anwaltlichen Standesrechts untersuchte und deren Untersuchung die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (55) stark beeinflusst haben soll (56), hat die Ansicht vertreten den Rili sei "normähnlicher" Charakter beizumessen, weil es sich "um hoheitliche Rechtsäußerungen der Repräsentanten der öffentlich-rechtlichen Kammerorganisation" handele, welche "aufgrund gesetzlichen Auftrags zum Zwecke der Schaffung eines einheitlichen Standesrechts in einem zur berufsständischen Rechtssetzung geeigneten Verfahren zustande" kämen (57). Aus diesem Grunde bedürfe es auch keiner selbständigen Herleitung einer in den Rili geregelten Berufspflicht mehr, vielmehr mache die Abweichung von diesen eine Begründung erforderlich (58). Auch Brohm hat die Meinung bekundet, die Standesrichtlinien seien "angesichts ihrer praktischen und rechtlichen Relevanz in den Voraussetzungen und den Rechtmäßigkeitsanforderungen den satzungsgemäß festgesetzten Berufsordnungen gleichzustellen" und der "rechtsnormative" Charakter sei im wesentlichen gleich zu beurteilen (59). Auch Jarass sprach sich für einen "normativen Charakter" der Rili aufgrund ihrer Genese und Funktion aus (60).
Demgegenüber war zuvor betont worden, keinem Rechtsanwalt, dem standeswidriges Fehlverhalten vorgeworfen werde, sei der Nachweis abgeschnitten, die betreffende Rili-Bestimmung entspreche nicht (mehr) der allgemeinen Standesauffassung und sei daher unverbindlich (61). Auch die Rechtsprechung schloss nicht aus, dass die in den Rili niedergelegten Grundsätze überholt sein könnten (62), auch wenn sie förmlich noch nicht geändert worden sind (63). Der "langanhaltende Beifall" auf einem Deutschen Anwaltstag (das betreffende Referat soll allerdings auch rhetorisch brillant gehalten worden sein (64)) war nach der Rechtsprechung bereits geeignet, erhebliche Zweifel daran zu wecken, ob ein bestimmter Paragraph der Rili noch der allgemeinen Auffassung entspreche (65). Auch warf der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob als allgemeine Standesauffassung noch das angesehen werden könne, was der Überzeugung einer starken Mindermeinung widerspreche (65).
Gegen diese Auffassung hat Sue aus der von ihr behaupteten "Normähnlichkeit" der Rili abgeleitet, der - wie auch immer geführte - Nachweis einer geänderten Mehrheitsmeinung in der Anwaltschaft biete keinen Anlass zur Nichtbeachtung der Standesgrundsätze (66).
Der Möglichkeit zur Führung des oben angesprochenen "Gegenbeweises" soll allerdings auch keine nennenswerte Bedeutung zugekommen sein (67). Dies kann daran gelegen haben, dass ein solcher Nachweis nur schwer gelingen kann, wenn es dafür nicht einmal auf eine rechnerische Mehrheit, sondern auf die Überzeugung der "erfahrenen und angesehenen Standesgenossen" ankommen soll (68). Auch wurde die Ansicht vertreten, die Rili würden schon deshalb eine "normative Wirkung" äußern, weil der einzelne in der Regel die Sanktionen ihrer Nichtbeachtung gar nicht riskieren werde, um dann eventuell einen "Gegenbeweis" zu versuchen (69). Schließlich wurde auch behauptet, der Gegenbeweis könne schon deshalb nicht gelingen, weil in der überwältigenden Mehrzahl der bei der Ausübung des Anwaltsberufs auftauchenden Fragen eine seit langen Jahren geprägte Standesauffassung vorhanden sei, die Zweifel ausschlösse (70).
Die Gerichte behielten sich demgegenüber aber vor, den Sachverhalt selbständig zu prüfen und sich erst aufgrund dieser Prüfung den in den Rili vertretenen Auffassungen anzuschließen (71). Hierin sah Arndt eine Verletzung des Prinzips der Freiheit der Advokatur (72). Die Gerichte gingen dabei davon aus, dass die Pflichten des Anwalts nicht nur von den eigenen Standesgenossen und deren Organisationen bestimmt würden; vielmehr habe die Allgemeinheit ein entscheidendes Mitspracherecht, weil der Rechtsanwalt kraft Gesetzes berufen sei, wichtige öffentliche Aufgaben wahrzunehmen (73). Es wurde also der oben erwähnte Zusammenhang (74) zwischen anwaltlichen Rechten und Pflichten zur Begrenzung einer diesbezüglichen Standesautonomie angeführt. Es sollte somit Sache der Gerichte sein, unter gebührender Beachtung der Rechtsüberzeugungen der Rechtsanwälte und ihrer Standesorganisationen über das Maß der dem Anwalt obliegenden Pflichten unter Berücksichtigung der öffentlichen Belange selbst zu befinden (75). Die Verfasser der Rili haben dem Rechnung getragen. Im Vorspruch (Abs. 3 S. 2) wird ausdrücklich auf die Rechtsprechung der Ehrengerichte als Ausdruck der in den Rili niedergelegten Standesauffassung hingewiesen. Sue weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer als Organ einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft und eines (Selbst-) Verwaltungsträgers auch an die Interessen des Gemeinwohls gebunden sei (76). Nach der bisher h.M. hatte sich also der Anwalt den Bestimmungen der Rili grundsätzlich zu beugen (77).
bb) Abweichende Auffassungen
Die vorstehend in groben Zügen skizzierte Auffassung wurde allerdings keineswegs allgemein geteilt.
Husmann meinte, die Rili schieden als zur Ausfüllung einer Blankettnorm dienende Vorschriften aus, da sie selbst keinen Gesetzescharakter hätten; der Richter dürfe sie nicht beachten, da er nur dem Gesetz unterworfen sei (78).
Hamann hat die Rili als bloße Empfehlung, als Ratschlag betrachten wollen (79), da das "Rechtsbewusstsein der Standesgenossen" in der egalitären Demokratie als Rechtsquelle nicht legitim sein könne (80). Auch Arndt hat die Rili grundsätzlich als Empfehlung angesehen. Als "Spiegelbild" des allgemeinen Standesbewusstseins bedeuteten sie aber zugleich auch ein Gutachten, an das jedoch das erkennende Gericht nicht gebunden sei. Rechtliche Wirkung würden diese Empfehlungen aber als Warnungen äußern. Der Anwalt, der sich zu einer Richtlinie in Widerspruch setze, müsse damit rechnen, dass er, wenn er sein Verhalten nicht besonders begründen könne, objektiv standeswidrig und vor allem subjektiv schuldhaft handele. Quelle des Berufsrechts sei unter anderem das allgemeine Standesbewusstsein, die Sitte; die Rili böten Anhaltspunkte dafür, was Sitte sei, ohne eine selbständige Rechtsquelle darzustellen. (81))
Kalsbach (82) und ihm folgend Dahs (83) betonen die eigene Verantwortung des Rechtsanwalts (84). Die Rili sollten dem Anwalt nur die Prüfung erleichtern, wie er sich in beruflichen Fragen zu verhalten habe (85). Sie seien nur Anhaltspunkte für seine Prüfung (86).
Sie entbänden ihn jedoch nicht von der Pflicht, sein Handeln in eigener Verantwortung und unter sorgfältiger Prüfung aller Umstände des einzelnen Falls, allerdings auf der Grundlage der Standesauffassung (87) bzw. ausgerichtet nach dem Geist der in den Rili erkennbaren Standesanschauung (88), zu bestimmen (89). Der Vorwurf standeswidrigen Verhaltens werde weder allein dadurch begründet, dass der Rechtsanwalt von den Rili abweiche, noch allein dadurch ausgeräumt, dass er ihnen gemäß gehandelt habe (89). Nicht alles, was die Rili nicht verbieten, sei gestattet, andererseits könnten sie nicht etwas Erlaubtes standeswidrig machen (90).
An dieser Stelle muss auch darauf hingewiesen werden, dass nach der eigenen Aussage der Rili nicht ihr Buchstabe, sondern ihr Sinn maßgebend sein soll (91). Auch wollen sie ausdrücklich den Rechtsanwalt nicht von der Verantwortung für sein Handeln befreien (92).
Neuhäuser hat die Ansicht vertreten, die Rili seien nichts anderes als der Versuch einer schriftlichen Fixierung der innerhalb der Anwaltschaft gewachsenen Standessitte (93). Das anwaltliche Standesrecht sei zu unterscheiden von den dem Stande eigenen ethischen Anforderungen, der Standessitte (94). Auch die amtliche Begründung zur BRAO spricht davon, dass das anwaltliche Berufsleben vornehmlich von ethischen Geboten beherrscht werde, die nur in allgemeinen Normen ihren Niederschlag finden könnten (95), und Ackermann unterscheidet zwischen Rechts- und Standespflichten (96). Neuhäuser führt weiter aus, die Standessitte entbehre aber im Rahmen des anwaltlichen Standesrechts ebenso wenig der rechtlichen Bedeutung wie die auch anderwärts vielfach anzutreffende Bezugnahme des Rechts auf die Sitte (97). Recht könne der Bezugnahme auf die Sitte nicht entbehren; das gelte besonders für das anwaltliche Standesrecht, dessen nicht nur in § 43 BRAO benutzten "Generalklauseln" ohne die gebotene Ausfüllung durch die Standessitte schlechthin wertlos wären (97). Die Rili seien allerdings nicht mit der Standessitte identisch, vielmehr müsse in jedem strittig werdenden Einzelfalle entweder der zuständige Kammervorstand oder das mit der Sache befasste Ehrengericht darüber befinden, ob ein bestimmtes Verhalten mit der Standessitte in Einklang stehe oder ihr zuwiderlaufe (98). Insoweit ist er der Ansicht gefolgt, die den Rili den Charakter "bloßer Empfehlungen" oder "Ratschläge" beimessen wollte (99).
Warburg schließlich hat gemeint, das Standesrecht - soweit es sich nicht aus anderen Bestimmungen oder Grundsätzen ergebe - sei regelmäßig auf der Grundlage des § 43 BRAO durch Subsumtion festzustellen, wobei diese Vorschrift selbst auf außerrechtliche Grundsätze der Ethik Bezug nehme und diese in Gebote und Verbote des Rechts transformiere (100). Die Rili verständen sich nicht als Rechtssätze und befreiten den Anwalt in keinem Falle von der Verantwortung für sein Handeln (101). Das Gewissen des Anwalts und seine Einschätzung durch die Allgemeinheit seien die von § 43 BRAO bezeichneten Instanzen, die die jeweils gültige Wertvorstellung bildeten (102). Der Kern der anwaltlichen Berufsethik ergebe sich aber aus dem Gesetz selber, nämlich aus § 1 BRAO, wonach der Anwalt die legitimen Interessen des Mandanten "arte legis" und frei von sachfremder Motivation zu wahren und wahrzunehmen habe (103).
Roesen hat gefordert, es solle überdacht werden, ob in der Konzeption der Rili nicht zwischen Ver- und Geboten einerseits, Sitte und Empfehlungen andererseits zu unterscheiden sei. Auch sei es unnötig, in den Rili zu wiederholen, was schon im Gesetz steht (104)
Kleine-Cosack endlich hat aufgrund von Bedenken - auch verfassungsrechtlicher Natur - für eine Abschaffung der Rili (105) plädiert, während Zuck aufgrund teilweise ähnlicher Bedenken eine Satzungskompetenz für die Bundesrechtsanwaltskammer (106) und Papier eine Änderung der Stimmrechtsverteilung in der Bundesrechtsanwaltskammer (107)) gefordert haben.