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bb) § 81 Rili - Juristische Mitarbeiter

Das Standesrecht behandelt den bei einem anderen Anwalt beschäftigten Rechtsanwalt und die mit einem solchen Beschäftigungsverhältnis verbundene Probleme recht stiefmütterlich. Die BRAO erwähnt derartige Beschäftigungsverhältnisse nicht (§§ 7 Nr. 8, 15 Nr. 2, 46 BRAO haben Beschäftigungsverhältnisse mit Nichtanwälten im Auge). Unter dem VIII. Titel widmen die Rili diesen Beschäftigungsverhältnissen nach detaillierten Regelungen über Praxisschilder, Namensverzeichnisse etc. nur wenige Sätze. Dies steht im deutlichen Gegensatz zur zahlenmäßigen Bedeutung der Beschäftigungsverhältnisse unter Rechtsanwälten.

Grundsätzliches zu diesem Thema soll § 81 Rili aussagen. § 81 Rili (Überschrift: "Juristische Mitarbeiter") lautet:

"Beschäftigt der Rechtsanwalt einen anderen Rechtsanwalt oder einen sonstigen Juristen im Angestelltenverhältnis oder als freien Mitarbeiter, so hat er ihm angemessene Vertragsbedingungen zu gewähren."

§ 81 Rili kann zunächst die Auffassung entnommen werden, dass Beschäftigungsverhältnisse unter Rechtsanwälten - auch als Arbeitsverhältnisse - grundsätzlich standesrechtlich zulässig sind (198).

Im übrigen fordert § 81 Rili vom beschäftigenden Anwalt er habe seinem juristischen Mitarbeiter "angemessene" Vertragsbedingungen zu gewähren. Was im Einzelfall "angemessen" oder "unangemessen" ist, lässt sich aus dieser Standesrichtlinie jedoch nicht ablesen, so dass sie zur Auslegung des § 43 BRAO insoweit kaum eine Orientierungshilfe bietet.

Eich meint, dass das Postulat der Gewährung "angemessener" Vertragsbedingungen möglicherweise ausreichend gewesen sei, als eine homogene Gemeinschaft aller Anwälte noch wusste, was man tat und was man eben nicht tat. Eine sich verschärfende Konkurrenzsituation, der ungehinderte und am Bedarf nach anwaltlicher Leistung vorbeigehende Zustrom zur Anwaltschaft sowie eine sich verfeinernde arbeitsgerichtliche Rechtsprechung ließen § 81 Rili als standesrechtliche Spitze eines Eisbergs von rechtlichen und sozialen Problemen im Zusammenhang mit der Beschäftigung juristischer Mitarbeiter durch einen Rechtsanwalt zu Leerformel werden, die keinem mehr helfe und mehr Probleme zudecke als löse. Er fordert, § 81 Rili solle aufgelöst und eine aufgefächerte Regelung der Probleme angestrebt werden, um die Probleme auch standesrechtlich wenigstens im Ansatz zu erfassen. (199)

Zuck hat zudem die Frage aufgeworfen, ob die Beschäftigung von Mitarbeitern nicht eigentlich ein arbeitsrechtliches und kein standesrechtliches Problem sei (200).

Ob der Rechtsanwalt seinem Mitarbeiter angemessene Bedingungen gewähre, sei - vom anwaltlichen Binnenraum abgesehen - ein Marktproblem, keine Frage der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Anerkannte Regeln hätten sich bislang nicht herausgebildet: Zwischen Ausbeutung und "fürstlicher Bezahlung" gebe es alles. Das Zivil- und Arbeitsrecht müsse als Korrekturmöglichkeit ausreichen. (201)

Demgemäß ist der BRAK-Richtlinienausschuss der Auffassung, die Gewährung angemessener Bedingungen schließe sich aus zivil- und arbeitsrechtlichen Vorgaben. Im Rahmen dieser Einbindung sei die Feststellung ohne Inhalt und entfallen. (202)

Allerdings hat Zuck § 81 Rili in § 2 IV 1 BORA-E lediglich mit einer stilistischen Korrektur übernommen (203).

Sicherlich ist die Beschäftigung eines Kollegen zu "Ausbeutungsbedingungen" (204) als unkollegial zu verdammen. Zuck weist zurecht daraufhin, dass zu den dunklen Flecken auf der weißen Weste der Anwaltschaft gehört, dass das große Angebot an Jungjuristen fortlaufend zu unangemessenen Bedingungen verführt (205).

In der Tat muss man aber fragen, ob hierin nur eine standesrechtlich unbeachtliche Minderung des Ansehens der Anwaltschaft zu sehen ist oder ob hierdurch die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und das Allgemeininteresse beeinträchtigt wird (206).

Betrachtet soll hier zuerst der Fall werden, dass dem Beschäftigten ein nur unzureichendes Entgelt gewährt wird (207).

Anwaltliche Unabhängigkeit (s. §§ 1, 3 I BRAO) bedarf auch der Sicherung der materiellen Bedürfnisse (208).

Es soll sogar vorkommen, dass einzelne Berufsanfänger sogar bei renommierten Kollegen für längere Zeit ohne finanzielle Gegenleistung arbeiten sollen in der Hoffnung, danach ein für das berufliche Fortkommen förderliche Zeugnis zu erhalten (209). Derartiges mag zur "guten alten" Zeit durchaus Usus gewesen sein (210); allerdings hatten die damaligen Junganwälte einen wesentlich anderen sozialökonomischen Hintergrund.

Heutzutage ist dies Abusus. Es muss befürchtet werden, dass der "ausgebeutete", finanziell eventuell notleidende Beschäftigte erheblichen Anfechtungen ausgesetzt ist. Es besteht die Gefahr, dass er seine Berufspflichten als Rechtsanwalt missachten könnte, sei es auf Veranlassung des Mandanten (211), aufgrund einer Beeinflussung durch Dritte oder sogar aufgrund einer Bestechung durch den Gegner.

Hinzu kommt noch, dass ein unzufriedener, durch unangemessene Arbeitsbedingungen demotivierter Mitarbeiter wenig Interesse an wirklich sorgfältigem Arbeiten hat. Dieser Umstand ist wiederum geeignet, die Interessen der Mandantschaft zu beeinträchtigen, da dann die Gefahr besteht, dass deren Aufträge nicht sachgerecht bearbeitet werden.

Den Schutz durch das Arbeits- oder Zivilrecht muss man insoweit als unzureichend effektiv ansehen, denn dessen Erlangung setzt zunächst entsprechende Aktivitäten des Beschäftigten voraus, die dieser aus Furcht,auch noch den Status quo zu verlieren, oftmals nicht wagen wird. Daher ist nur die hoheitlich handelnde Standesaufsicht in der Lage, gewisse, im Allgemeininteresse notwendige Mindestbedingungen wirksam durchzusetzen.

Außerdem widerspricht die Auferlegung grob unbilliger Beschäftigungsbedingungen derart den allgemeinen Vorstellungen über sittengerechtes Verhalten im Wirtschaftsleben, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die Seriösität das dienstberechtigten Anwalts Schaden erleiden muss, wenn sie über diese Bedingungen Kenntnis erlangt, was kaum mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann.

Allerdings ist die Feststellung des § 81 Rili zu weitgehend. Eine Einschränkung der Vertragsfreiheit über die zwingenden Vorschriften des Arbeits- und Zivilrechts hinaus ist nur gerechtfertigt, soweit es zur Abwehr der beschriebenen Gefahren notwendig ist. Die Vorschriften dieser Rechtsgebiete sind so anzuwenden, dass die beschriebenen Gefahren möglichst vermieden werden (212).

Die Standesaufsicht hat die Aufgabe, dann einzuschreiten, wenn durch grob unbillige Beschäftigungsbedingungen in der bezeichneten Weise das Allgemeininteresse erheblich beeinträchtigt wird.

Im Zusammenhang mit § 81 Rili wird vom Arbeitgeberanwalt gefordert, er habe die Beschäftigungsbedingungen so einzurichten, dass die Zulassung des Arbeitnehmeranwalts nicht gefährdet wird (213). Dieser Fall ist aber an sich unproblematisch. Sind die Beschäftigungsbedingungen so, dass dem Arbeitnehmer - insbesondere wegen Nichterfüllung der Kanzleipflicht (213) - die Zulassung zu entziehen ist, so hat die Justizverwaltung entsprechend tätig zu werden, mit der Folge, dass dem Arbeitgeberanwalt - mit allen damit verbundenen Nachteilen - nur ein Nichtanwalt als Mitarbeiter zur Verfügung steht. Legt der Mitarbeiter auf die Zulassung besonderen Wert - etwa aus sozialversicherungsrechtlichen Erwägungen -, so hat er seine Beschäftigungsbedingungen eben entsprechend auszuhandeln. Eine Beschränkung der Vertragsfreiheit ist also auch hier nicht indiziert.

Zur Gewährung angemessener Bedingungen im Sinne des § 81 Rili soll auch gehören, dass der Mitarbeiter nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht durch Konkurrenzklauseln in der weiteren beruflichen Entwicklung in unziemlicher Weise behindert wird (214). Hier erscheint allerdings der zivil- und arbeitsrechtliche Schutz (215) ausreichend, so dass es einer berufsrechtlichen Regelung nicht bedarf.

Auch die ordnungsgemäße Erfüllung der mit dem Beschäftigungsverhältnis verbundenen öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen (216) ist anderweitig ausreichend gewährleistet. Sollte der Arbeitgeberanwalt in diesem Zusammenhang ordnungswidrig oder strafbar handeln, so mag dieser Umstand allerdings Anlass zu standesrechtlichen Konsequenzen bieten.

Standesrechtliche Pflicht des Arbeitgeberanwalts soll es auch sein, das Beschäftigungsverhältnis zutreffend einzuordnen, vor allem zu prüfen, ob eine Einstufung als freie Mitarbeit zivil-, sozial- und steuerrechtlich unbedenklich ist (217).

Standesrechtliches Eingreifen ist in diesem Fall aber erst dann notwendig, wenn die Einstufung als freier Mitarbeiter dazu führt, dass der Beschäftigte sozial derart ungesichert ist, dass die oben beschriebenen Gefahren (218) für die Allgemeinheit gegeben sind. Dies wird aber nur ausnahmsweise der Fall sein. Einzelheiten sollen auch hier später erörtert werden (219).

Schließlich soll es standeswidrig sein, wenn sich das Tätigkeitsfeld des angestellten Anwalts bei uneingeschränkter Weisungsgebundenheit im wesentlichen auf die Erbringung wissenschaftlicher Hilfsdienste beschränken soll (220). Mit dem herkömmlichen Berufsbild des Rechtsanwalts ist eine solche Beschränkung wohl auch nicht vereinbar. Man könnte sogar die Frage aufwerfen, ob der Betreffende dadurch nicht eine Tätigkeit ausübt, die mit dem Beruf eines Rechtsanwalts nicht vereinbar ist (§§ 7 Nr. 8, 15 Nr. 2 BRAO).

Die Regelungen in §§ 7 Nr. 8, 15 Nr. 2 BRAO betreffen jedoch nicht die anwaltliche Tätigkeiten, die neben einer solchen ausgeübt werden. Die Tätigkeit in Ausübung des Anwaltsberufs selbst wird durch die §§ 43 ff. BRAO und das übrige anwaltlichen Standesrecht geregelt.

Legt man diesen Maßstab - unter Beachtung der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - an, so wird man die standesrechtlichen Bedenken gegen die beschriebene Beschränkung des Tätigkeitsfeldes letztlich nicht als durchschlagend ansehen können. Es ist nämlich nicht erkennbar, dass hierdurch die Interessen der Allgemeinheit generell beeinträchtigt sind.

Insbesondere erscheint es fernliegend, dass das rechtsuchende Publikum hierdurch das Vertrauen in die Kompetenz der Anwaltschaft insgesamt verlieren könnte. Weniger fernliegend ist allerdings die Befürchtung, der beschäftigte Anwalt könne aufgrund der Beschränkung des Tätigkeitsfeldes seine anwaltlichen Fähigkeiten einbüßen und sich bei einer späteren Erweiterung seines Tätigkeitsbereiches als inkompetent erweisen. Aber auch diese Befürchtung rechtfertigt kein präventives Vorgehen gegen die beschriebenen Beschäftigungsbedingungen, da eine solche Entwicklung keineswegs zwangsläufig ist und insbesondere durch eine entsprechende Fortbildung des beschäftigten Anwalts verhindert werden kann.

Zugegebenermaßen entspricht ein derartiges Tätigkeitsfeld sicherlich nicht dem Sinn der Zulassung als Rechtsanwalt, die dem Volljuristen die Möglichkeit rechtsberatender und forensischer Tätigkeit (s. § 3 I, II BRAO) eröffnen soll. Die Zulassung verpflichtet den Rechtsanwalt grundsätzlich (Ausnahmen: §§ 48 f. BRAO, 34a EGGVG oder z. B. § 15 PsychKG NW) aber nicht zu einer solchen Tätigkeit. Er kann vielmehr - wie auch der Bundesgerichtshof festgestellt hat - kraft der ihm gesetzlich garantierten Freiheit und Unabhängigkeit der Berufsausübung eigenverantwortlich und nach eigenem Ermessen darüber befinden, ob er - gleich aus welchen Gründen, auf kürzere oder längere Dauer - überhaupt Aufträge von Rechtssuchenden entgegennehmen will (221). Standesrechtlich wird man also auch zulassen müssen, dass ein Anwalt nur einen sachlich abgegrenzten Teil der zur Erfüllung der Mandate notwendigen Aufgaben wahrnimmt.

Man wird zwar auch nicht leugnen können, dass insbesondere § 3 I BRAO vom überkommenen Berufsbild des Anwalts ausgeht. Ebensowenig aber wie aus dieser Vorschrift abgeleitet wird, ein Anwalt dürfe sich nicht fachlich spezialisieren, (trotz der Formulierung: "in allen Rechtsangelegenheiten") kann sie als Argument gegen eine funktionale Spezialisierung (222) angeführt werden. Das traditionelle Berufsbild ist jedenfalls kein hinreichender Grund dafür, dass sich auf die Erbringung wissenschaftlicher Hilfsdienste nur Nicht-Anwälte spezialisieren dürfen, zumal es sich hierbei um eine zur anwaltlichen Leistungserbringung notwendige Teilleistung handelt.

cc) § 82 Rili

§ 82 Rili verbietet dem juristischen Mitarbeiter einer Anwaltskanzlei, der sich als Anwalt selbständig macht oder in eine andere Anwaltskanzlei übertritt, ihm in der bisherigen Anwaltskanzlei bekanntgewordene Auftraggeber zu veranlassen, ihm oder der anderen Anwaltskanzlei Aufträge zu erteilen.

§ 82 Rili ist eine Konkretisierung des auch in § 2 I Rili ausgesprochenen Werbeverbots (223).

Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot der gezielten Werbung um die Praxis als aus § 43 BRAO herleitbares, auch künftig geltendes Standesrecht angesehen (224). § 82 Rili beschreibt einen exemplarischen Fall gezielter Werbung um die Praxis (§ 82 I Rili zugunsten der eigenen, § 82 II zugungsten der Praxis eines wirtschaftlich nahestehenden Dritten) und kann daher als Konkretisierung anerkannt standeswidrigen Verhaltens auch künftig zur Auslegung des § 43 BRAO herangezogen werden (225).

dd) § 88 Rili - Abwerbung von Mitarbeitern

§ 88 Rili erklärt die Abwerbung von Mitarbeitern aller Art eines Rechtsanwalts für standeswidrig.

Es wird die Ansicht vertreten, diese Feststellung sei vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht (226).

Wenn § 88 Rili die Abwerbung sowohl juristischer Mitarbeiter als auch von Kanzleipersonal für standeswidrig erklärt, so wird damit jeder Versuch einem Kollegen einen Mitarbeiter abspenstig zu machen, missbilligt (227). Dies gilt auch dann, wenn der abwerbende Rechtsanwalt keine verwerflichen Mittel anwendet und auch keinen verwerflichen Zweck im Sinne und im Rahmen des UWG verfolgt (228). Der Rechtsanwalt dürfte danach also nicht von sich aus aktiv werden und sich mit Angestellten eines Kollegen mit dem Ziel in Verbindung setzen, dass diese in seine Dienste treten, selbst wenn er keine unlauteren Mittel anwendet, um den betreffenden Mitarbeiter seinem bisherigen Arbeitgeber auszuspannen (229).

Diese Bestimmung ist aber zu pauschal und umfassend. Ihre Durchsetzung würde das berufliche und wirtschaftliche Fortkommen der betroffenen Mitarbeiter erschweren, ohne dass ersichtlich ist, welche Interessen der Allgemeinheit dies rechtfertigen könnten. Auch enthält diese Bestimmung hinsichtlich des einstellungswilligen Rechtsanwalts eine Berufsausübungsregelung.

Insoweit bestehen Bedenken gegen die Grundrechtskonformität dieser Regelung.

Art. 12 I GG schützt auch das Recht des Arbeitnehmers, den Arbeitsplatz frei zu wählen. Dieses Grundrecht umfasst das auch gegenüber dem Arbeitgeber wirkende Recht, den gewählten Arbeitsplatz beizubehalten, aufzugeben und zu wechseln (230). Die Regelung in § 88 Rili beeinträchtigt dieses Wahlrecht dadurch, dass die Chancen der betreffenden Mitarbeiter auf Arbeitsplatzwechsel nicht unerheblich vermindert werden, weil ihnen diesbezügliche gezielte Angebote nicht gemacht werden dürfen.

Diese Beschränkung der Mitarbeiterwerbung hat auch hinsichtlich der anwaltlichen Berufsausübung regelnden Charakter.

Berufsausübungsregelungen und erst recht Eingriffe in das Recht auf freie Arbeitsplatzwahl bedürfen einer Rechtfertigung zumindest durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls (231).

Solche Gründe sind nicht ersichtlich. Die Einschränkung der Personalfluktuation oder die Wahrung des Lohn- und Gehaltsniveaus können prinzipiell nicht als berechtigtes Mittel anerkannt werden (232). Auch ist nicht ersichtlich, dass ein wettbewerblicher Anlass eine derartige Wettbewerbsbeschränkung erfordern könnte.

Grundsätzlich wird das Ausspannen von Mitarbeitern auch nicht als unlauter angesehen (233). Ein Unternehmer handelt nicht ohne weiteres sittenwidrig, wenn er Arbeitskräfte zu werben sucht oder einstellt, von denen er weiß, dass sie aus dem Betrieb eines Mitbewerbers kommen und von diesem nur ungern entbehrt werden (234). Gesichtspunkte, die Abwerbung anwaltlicher Mitarbeiter abweichend von dieser allgemeinen Regel generell unlauter erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich.

Allerdings kann aufgrund besonderer Umstände die Abwerbung im Einzelfall sittenwidrig sein (235). Hier bietet das Zivilrecht, vor allem das UWG dem betroffenen Arbeitgeber ausreichenden Schutz.

Lediglich dann, wenn durch das unlautere Abwerben eine übertriebene geschäftsmäßige Einstellung zutage tritt und hierdurch das Vertrauen der Rechtssuchenden durch den Eindruck übermäßigen Gewinnstrebens eine Einbuße erleidet (236), sind standesaufsichtliche Maßnahmen angezeigt. Dies dürfte aber nur sehr selten der Fall sein. Gleiches gilt dann, wenn durch die Abwerbung der betroffene Arbeitgeber, für den Abwerber erkennbar, in seiner anwaltlichen Tätigkeit so behindert wird, dass die ordnungsgemäße Rechtspflege erheblich beeinträchtigt wird, etwa wenn "auf einem Schlag" fast das ganze Personal oder alle wichtigen Funktionsträger einer Kanzlei abgeworben werden und Ersatzpersonal nicht ohne weiteres zur Verfügung steht.

ee) §§ 19 III, 20 Rili - Streitigkeiten

Gemäß § 19 III Rili hat der Rechtsanwalt, wenn er einen Kollegen in eigener Sache zivilrechtlich zu verklagen beabsichtigt, eine außergerichtliche Beilegung zu versuchen.

§ 20 Rili bestimmt, daß bei sonstigen Streitigkeiten unter Kollegen die Beteiligten verpflichtet sind, den Versuch einer gütlichen Einigung zu machen. Bleibt dieser Versuch erfolglos, so haben die Beteiligten nach dieser Bestimmung bei dem Vorstand ihrer Rechtsanwaltskammer Vermittlung zu beantragen.

Gemäß § 73 II Nr. 2 BRAO obliegt es dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer insbesondere, "auf Antrag bei Streitigkeiten unter den Mitgliedern der Kammer zu vermitteln".

Unbestritten schreiben die angeführten Rili-Bestimmungen ein Verhalten vor, das in der Regel von der ernunft und aus kollegialer Rücksicht geboten ist (237). Jedoch ist nicht alles, was vernünftig und rücksichtsvoll ist, auch von Rechts wegen geboten. Auch kann den angeführten Bestimmungen nicht entnommen werden, wie intensiv die vorgeschriebenen Einigungsversuche mindestens zu sein haben oder ob und welche Vergleichsbereitschaft aus dem Verhalten der Beteiligten hervorzugehen hat.

Dennoch vertritt der BRAK-Richtlinienausschuss im Ergebnis und mehrheitlich die Auffassung, § 19 Rili sei unerlässlich für die funktionsfähige Rechtspflege bzw. zum Teil durch vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht belegt (238).

Zuck meint demgegenüber, die gesamten Feststellungen in § 19 Rili beträfen den anwaltlichen Binnenraum und seien für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege belanglos (239). Gleichwohl übernimmt er die Feststellungen in §§ 19 II, III, IV, 20 Rili mit geringfügigen Änderungen als §§ 56 II, III 1, IV, 57 BORA-E (240).

Auch Feuerich meint, dass ein weiterer Rückgriff auf Bestimmungen, die nur berufsständische Belange betreffen, wie zum Beispiel §§ 19 und 20 Rili, auch während der Übergangszeit ausgeschlossen sei (241).

Hinsichtlich § 20 Rili herrscht die Auffassung, hieraus seien anwaltliche Pflichten nicht mehr herzuleiten (242). Bereits 1986 konnte auch der Bundesgerichtshof keine entsprechende Standesübung mehr feststellen (243).

Bezüglich § 19 Rili ist Zuck und Feuerich grundsätzlich zu folgen.

Ein Verstoß gegen § 43 BRAO liegt daher nur dann vor, wenn das Verhalten des Rechtsanwalts bei einer Auseinandersetzung mit einem Kollegen evident sachwidrig ist (244), da nur dann das Vertrauen der Allgemeinheit in die Kompetenz oder Seriösität der Anwaltschaft Schaden erleiden kann.

Unnötige Prozesse sind angesichts der angespannten Geschäftslage der Gerichte sicherlich nicht im Interesse der Allgemeinheit. Ob allerdings ein Güteversuch geeignet ist, einen Prozess zu vermeiden, hängt von der inneren Disposition der Beteiligten ab, die außer in Evidenzfällen nicht justitiabel ist. Im übrigen schadet sich der Anwalt, der ohne Veranlassung einen Kollegen zivilrechtlich verklagt, nur selber (§ 93 ZPO), so dass hier eine zurückhaltende Einstellung der Standesaufsicht auch unschädlich ist.

ff) § 28 II Rili

Die Feststellungen in § 28 II Rili spielt bei der Frage eine Rolle, ob eine sogenannte unechte Sozietät nach außen hin wie eine Sozietät auftreten darf, d.h. gemeinschaftliche Drucksachen, Stempel und Praxisschilder verwenden darf.

Auf diese Frage soll im Zusammenhang mit der unechten Sozietät (245) eingegangen werden.

gg) § 29 Rili - Auflösung einer Sozietät

Die Bestimmung des § 29 Rili spielt im Rahmen des Gegenstandes dieser Arbeit insofern eine Rolle, als dass fraglich ist, ob die Vorschrift auch auf die Auflösung einer unechten Sozietät oder beim Ausscheiden eines "fixierten" Sozius Anwendung finden muss.

Bedenken gegen die Heranziehung dieser Bestimmung zur Konkretisierung der Generalklausel des § 43 BRAO bestehen nicht. Diese Vorschrift schützt nämlich (auch) die Freiheit der Wahl des Anwalts durch den Klienten (246). Wegen dieses Schutzzwecks kann die Befragung der Mandanten nach § 29 I Rili nicht, wie die Formulierung des ersten Satzes nahelegen könnte, durch eine Abrede allein unter den Sozien ausgeschlossen werden (247).Der Wille des Mandanten ist zu beachten (248).Dies setzt dessen Erforschung voraus.

Es besteht allerdings die Ansicht, die Feststellungen in § 29 I Rili könnten nicht als unerlässlich angesehen werden, weil es zivilrechtlich unabdingbar sei, dass der Mandant befragt werden müsse, und der darüberhinausgehende oder daneben bestehende Regelungsbereich vertraglich aufgefangen werde (249).

Sicherlich können die Einzelheiten der Mandantenbefragung vertraglich zwischen den Anwälten geregelt werden; insoweit kann den Regelungen in § 29 I Rili allerdings eine lückenausfüllende Funktion zukommen.

Dass bei der Auflösung einer Sozietät oder dem Ausscheiden eines Sozius eine Mandantenbefragung überhaupt stattfindet, hat wegen der überragenden Bedeutung der Freiheit der Anwaltswahl (250) auch das Standesrecht zu gewährleisten, denn zivilrechtlich kann die Gefahr suggestiven Einwirkens auf die Mandanten kaum ausgeschlossen werden. Insoweit ergänzen die Regelungen in § 29 I Rili auch die unerlässlichen Feststellungen in § 29 II Rili.

§ 29 II Rili ist eine Verdeutlichung des Verbots der gezielten Werbung um die Praxis (251) und kann daher zur Auslegung des § 43 BRAO herangezogen werden (252). Es handelt sich um eine unerlässliche Feststellung, soweit damit gezielte Mandatswerbung verhindert werden soll (253).

Im Zusammenhang mit der Auflösung der Sozietät steht auch die Bestimmung des § 70 II Rili, wonach dem aus der Sozietät ausscheidenden Rechtsanwalt die Befugnis zusteht, am Hause seiner bisherigen Kanzlei für zwei Jahre einen Hinweis auf den Umzug anzubringen. Diese Vorschrift stellt eine Lockerung des Werbeverbots dar und erscheint unbedenklich. Diese Feststellung ist sogar im Kern als unerlässlich bezeichnet worden, weil das rechtsuchende Publikum "seinen" Anwalt wiederfinden können muss (254).

hh) § 17 III Rili - Anzeigepflicht

Gemäß § 17 III Nr. 3 Rili hat der Rechtsanwalt die Eingehung einer "anderen Verbindung zu gemeinschaftlicher Berufsausübung" und gemäß § 17 III Nr. 4 Rili die Eingehung eines "Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnisses" dem Kammervorstand unaufgefordert und unverzüglich anzuzeigen. Nach § 17 III 2 Rili ist ein Dienst oder Beschäftigungsvertrag dem Vorstand auf dessen Verlangen vorzulegen. § 17 III Nr. 4 und § 17 III 2 Rili entsprechen in etwa den beabsichtigten Neuregelungen in § 56 II Nr. 1 und § 56 II 2 BRAO nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte aus dem Jahre 1985 (255).

Die Anzeigepflichten sollen dem Vorstand die Erfüllung seiner Aufgaben aus § 73 II Nr. 1 und Nr. 4 i.V. mit § 74 BRAO erleichtern (256). Fraglich ist indessen, ob sie zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege unerlässlich sind (257).

Es herrscht die Auffassung, die in § 17 III Rili festgestellten Pflichten dienten insgesamt der Realisierung der Standesaufsicht (258)). Ihr Eingriffgehalt sei gering (258). Andererseitskönne nur so eine Grund-Ordnung garantiert werden (259). Da die Zwangsmitgliedschaft des einzelnen Rechtsanwalts selbst ein unerlässlicher Bestandteil einer funktionsfähigen Rechtspflege sei, müsse das auch für die Anzeigepflichten gelten, die zum Material zum Zweck der Aufrechterhaltung dieser führten (259) und insgesamt das System der Pflichtmitgliedschaft bzw. dessen Aufrechterhaltung realisierbar machten (260). Es verstehe sich, dass Ordnung eher präventiv als repressiv verwirklicht werden müsse (259).

Dem ist zuzustimmen.

Zu berücksichtigen ist, dass die Mitglieder des Kammervorstandes nach § 75 BRAO ihre Tätigkeit ehrenamtlich, d.h. in der Regel neben ihrer durchaus zeitaufreibenden Anwaltstätigkeit ausüben. Des weiteren ist beachtlich, dass 7 Kammern zwischen 1000 und 1999, 6 Kammern zwischen 2000 und 4999 und 3 Kammern sogar über 5000 Mitglieder haben (Stand 1.1.1988) (261). Die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf beispielsweise hat 3917 Kammermitglieder (261) aber lediglich 30 Vorstandsmitglieder (262)). Auch ist zu beachten, dass die Kammerbezirke, die den Oberlandesgerichtsbezirken entsprechen (Ausnahme: Rechtsanwaltskammer bei dem Bundesgerichtshof), regelmäßig auch eine beachtliche Ausdehnung haben.

Angesichts dieser Umstände ist es unerlässlich dem Kammervorstand durch Anzeigepflichten der Kammermitglieder die Erfüllung seiner Pflichten zu erleichtern, da zu befürchten ist, dass er andernfalls seine Pflichten nur ungenügend wahrnehmen könnte.

Auch die Tatsachen, die der Anzeigepflicht unterliegen, sind solche, deren Kenntnis für den Vorstand zur Erfüllung seiner Aufgaben grundsätzlich von Belang sind (263).

Inwieweit die genannten Anzeigepflichten für ein Angestelltenverhältnis unter Anwälten einschlägig sind soll später (264) erörtert werden.

Die Vorlagepflicht (263) für Dienst- oder Beschäftigungsverträge auf Verlangen des Vorstandes gemäß § 17 III 2 Rili findet ihre Grundlage in einer entsprechenden Anwendung des § 56 S. 1 BRAO, sofern man diese Vorschrift nicht als unmittelbar anwendbar ansieht, indem man in der Vorlage eine besondere Form der Auskunft im Sinne dieser Vorschrift sieht.

ii) §§ 32, 34 III, 40 III, 46 Rili

Diese Bestimmungen sind Erläuterungen zu den §§ 45, 46 BRAO und § 356 StGB und sollen im Zusammenhang mit deren Erörterung behandelt werden (265).